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DIE NEUE MALEREI VON SILVIO GAGNO

 

Silvio Gagno hat in zyklischen Phasen seine Ausdrucksform stets erneuert, vom Figurativen zum lyrischen Expressionismus, von den Cieli alti über die Silenzi bis hin zu Corridoi nel cielo und Vento tra i pini.

Nun verläuft die neue Grenze seiner Malerei, die bei den C odici angelangt ist, viel weiter: es ist eine neue und reifere Kraft der Synthese zwischen Impuls und Vernunft, zwischen Struktur und Farbe, zwischen Unmittelbarkeit im Ausdruck und moderater Sicht nach Innen.

Es kann viele Definitionen für den Ausdruck „codice“ geben: von einer genauen Zahl zu einer hermetischen und geheimen Sprache, von einem elitären Zeichen zu einem nicht entzifferbaren Plan. In der Tat sind diese neuen Bilder „Pläne“ für eine neue malerisch-zeichnerische Sprache, fast seismographische Spuren von wahrnehmbaren Erlebnissen, die vom Licht und farblichen Variationen leicht umspielt werden; sie könnten auch wie Partituren von kosmischen elektronischen Kompositionen erscheinen, die durch die Farbe zum Vibrieren gebracht werden, welche die verschiedene Stärke der Materie in leuchtende Phoneme zerteilt.

Die Präsenz der Natur, die in der Malerei von Gagno unübersehbar ist, wird zur Regel: das einfühlsame Licht wird zum Struktur - Zeichen, die explosiven Farben zerfließen im begrenzenden Maß der Monochromie, bis hin zum absoluten Schwarz – Weiß.

Der Übergang von einer vorher instinktiv vitalen Ausdruckskraft hin zum C odice hat sich langsam entwickelt, durch eine Klärung, die nicht nur auf mentalem und psychologischem, sondern auch auf technisch – strukturellem Gebiet erfolgte: die vorher weite, luftige, freie und unmittelbare Pinselführung hat sich fast fragmentarisch in tiefgründige Farb – und Lichtsequenzen verwandelt, die jeden Millimeter der Leinwand mit endlosen und kontinuierlichen Variationen bedecken, mit bewussten Abstufungen und geschlossenen Richtungsverläufen.

Der Übergang zu den Codici wird zum Erlebnis: es geht nicht mehr nur um Farbstruktur, Rhythmus und mathematische Raum - Zeiteinteilung, sondern um eine neue, reichhaltige und komplexe Ausdrucksweise, die zwei Lesarten erlaubt: ikonographisch bei den Kompositionselementen, die auf die Theorie von Licht und Farbe verweisen; ikonologisch bei der symbolischen Komplexität der semantischen und verbalen Wertigkeit des Terminus „codice“; nicht Linie als einengende Form des angeborenen existentiellen Impulses, sondern zugleich intuitive und rationale Überwindung aller bisherigen Ansprüche.

Der Grundgedanke bleibt verbunden mit der Landschaft, der Natur, dem Verlauf des Alltags, dem tiefen Sinn für Farbe und Licht, wie er im Veneto erlebt wird. Die technisch – formale Entwicklung hingegen verläuft auf bisher ungewohnten Bahnen: sie unterwirft die Intuition der Vernunft, reguliert die Häufigkeit der Farbübergänge, fängt das Licht in einem Molekül-Filter auf, der dessen Qualität, Quantität, Intensität und Wahrnehmbarkeit abstimmt und die optische Wirkung der Einfarbigkeit auf dem gesamten Bogen jeder einzelnen möglichen Farbstufe beschleunigt; es sind kurze, präzise, rasche Striche in Acryl, mit genauer Linienführung, Rhythmus und Abstand, so als ob der Künstler einem unsichtbaren, doch spürbaren Liniensystem folgte, einem dichten Geflecht, das auf das Licht im regelmäßigen Rhythmus reagiert.

Wenn die strenge Abtastung zur Musik wird, dann wird die Malerei zur Poesie: diese Bilder könnten auch wie ein „elffüßiger Farben - Vers“ erscheinen.

 

  Januar 2007
Flavia Casagranda



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